Well
done Takkyu !
Liquidroom,
Tokyo
Musikalische
Querfeldeinfahrt
Ich
hatte Takkyu Ishino ja bis jetzt nur immer mal für 2-3 Stunden gehört,
zusammen mit anderen DJs. Dieser Abend gehörte Takkyu ganz alleine, und
ich erwartete eigentlich nonstop monotones Geschrubbe, aber ich wurde eines
besseren belehrt.....
Erst mal hat ja alles recht aussichtslos angefangen. Gegen 23.20 kamen wir
beim Liquidroom an. Man konnte sich (wie immer) auch an diesem Tag Tickets
im Vorverkauf holen, aber wer holt sich schon Tickets im VVK für ein
"normales" Clubevent ?? Nun, fast alle meine japanischen Freunde
hatten dies getan, und sie wussten warum. Vorm Liquidroom angekommen war draußen
eine 10 Meter Schlange.. nun ja, das ist ja nicht so viel, oder ? Ich stellte
mich mal hinten an während meine Freunde, die bereits Tickets hatten,
schon links an der Schlange vorbei hinein konnten. Ich wartete ein paar Minuten,
plötzlich erschien einer meiner Freunde an der Tür und sagte ich
solle vorkommen. Nun, ich hatte aber zwar kein Ticket aber was solls...Ich
dachte die kurze Schlange vor der Tür würde nur bin zum Fahrstuhl
unten am Eingang führen, aber Pustekuchen, die ging nach rechts ins Treppenhaus....
ich ahnte Übles... immerhin ist das Liquidroom im siebten Stock ! Nun
ja, Masil führte mich ins Treppenhaus, und wir gingen die ersten zwei
Treppen hoch, bis wir KSK fanden, einen weiteren Kumpel, der auch keine Karte
hatte und in der Schlange wartete. Masil brabbelte irgendwas von wegen ich
solle hier warten und verschwand dann nach oben.... hmm... mein japanischer
Freund in der Schlange (der leider nur Japanisch sprach) deutete irgendwas
an von wegen ich solle auch hochgehen... leider ist mein Japanisch noch nicht
so gut, als dass ich genau gegriffen hätte was er jetzt wollte. Schließlich
hatte ich ja auch kein Ticket. Nun gut, ich machte mich auf den Weg nach oben.
Das war echt wieder typisch japanisch:
Alle standen schön brav an der rechten oder an der linken Seite des Trappenhauses.
Alle ordentlich in einer Reihe hintereinander. Kein Gedrängel, kein Gequetsche,
und der Mittelgang war frei. Ich arbeitete mich durch 7 Stockwerke voller
wartender Leute rechts und links von mir. In dem Treppenhaus war es außerdem
saumäßig heiß, da es da keine Klimaanlage gab und durch die
vielen Leuten die Luftfeuchtigkeit voll hoch war. Oben angekommen wusste ich,
warum die Leute alle so brav rechts und links im Treppenhaus gestanden waren:
Auf der rechten Seite waren die Leute ohne Ticket, die linken Seite die mit
Ticket.
Nun stand ich also oben am Einlass, ohne Ticket, 7 Stockwerke vorgedrängelt,
und von Masil weit und breit keine Spur. Ich überlegte kurz (wirklich
nur seehr kurz) ob ich die 7 Stockwerke wieder runterrennen sollte um mich
schön brav ganz hinten in die Schlange der "Nicht-Ticket-Besitzer"
zu stellen....... aber der Gedanke an 7 Stockwerke Warteschlange über
mir turnte mich zu sehr ab... also beschloss ich in unverschämter Gaijin-Manier
mich einfach hinter den ersten 4 Leuten der "Nicht-Ticket-Besitzer"
in die Schlange zu quetschen und mir so 2 Stunden anstehen zu ersparen.....
ich weiß, böse gelle ;o)
In dem Treppenhaus war es so heiß und schwül, dass ich nur vom
rumstehen alleine nach 10 Minuten klitschnass war (erinnerte mich irgendwie
ans Omen früher ;o). Ab und zu ging die Tür auf und ein kühler
Luftstrom kam heraus (leider nur spürbar für die ersten paar Leuten
vorne in der Schlange, zu denen ich ja jetzt gehörte *g*). In Japan ist
das genau umgekehrt wie bei uns: Draußen ist es super krass heiß
und schwül, und die Clubs sind so runtergekühlt, dass man fast Tanzen
muss um sich keine Erkältung zu holen :o).
Nach 20 Minuten tat sich dann endlich mal was (anscheinend war der Einlass
erst um 0 Uhr) und erst mal wurden nur die Leute mit Ticket reingelassen.
Nach dem ca. 30 Minuten später links von mir 7 Stockwerke "Mit-Ticket-Clubber"
vorbeigerauscht waren, gings dann auch endlich in unserer Schlange los, und
die Leute freuten sich wie verrückt und klatschten Beifall wenn sie endlich
reingelassen wurden. Die Gruppe hübscher Japanerinnen vor mir (hinter
die ich mich in die Schlange gedrängelt hatte) hüpfte fröhlich
wie ein Haufen Hundewelpen sofort auf die Tanzfläche, wo sie sich den
Rest des Abends (stets umgarnt männlichen Geschlecht) dann auch nonstop
aufhielten.
Als ich endlich auf der Tanzfläche des Liquidroom eintraf war der Club
schon ganz gut gefüllt, aber noch nicht richtig voll. Aber in der nächsten
Stunden trafen dann aber auch die restlichen 7 Stockwerke an Partypeople ein
(die, die hinter mir gestanden waren :-) ,
und es wurde richtig eng. Das DJ Pult ist fast versteckt hinter einer Absperrung,
und vorne dran drängelten sich durchgehend bis zum Ende die Groupies
(fast ausschließlich weiblichen Geschlechts).
Anfangs gab's die typischeren locker-groovigen Sachen zu hören, und ich
rechnete damit, dass es danach zum härterem Sound ginge. Tatsächlich
dauerte es aber seeeehr lange, bis die erste richtig harte Platte auf dem
Teller lag. Vorher gab's ein Set ohnegleichen. Von House, Trance, Electro
und seehr vielen 80iger Remixen gab's wirklich fast alles, was unsere Musik
an Vielfalt zu bieten hat. Alte Klassiker wie "Amphetamin" oder
der 92iger Track "Don't you want me" (von Felix oder so) lösten
diverse Remixe aus den 80igern ab, die anscheinend in Japan momentan total
in sind: Billy Jean von Michael Jackson, West End Girl von den Petshop Boys,
Sweet Dreams (Eurithmics), Don't go (?),.... ect ect ect. Sogar Nenas "99
Luftballons" (englische Version) gab's zu hören, kein Remix sondern
original mit dürrem 80-iger Beat. Tracks im "Breakcore" Style
aus den frühen 90igern (im Prinzip oldschool Breakbeats die mit einer
4/4 Kickdrum unterlegt sind) über Electrotracks, die weit in den Hiphop-Bereich
hineinreichten, bis hin zum harten EBM-Sound (Nizzer Ebb) der späten
80iger....... Sehr viele Tracks hatten deutschsprachige Samples. Auch ein
paar Trance Tracks gab's zu hören, sowie "traditionellen" 303-Acid
Sound, ect. ect. ect....... wirklich eine super interessante, originelle Mischung.
Und das sind nur die Sachen, die mir jetzt noch einfallen. Als Takkyu zwischen
4 und 5 Uhr dann mit dem richtig hartem Sound loslegte war es genau das, was
ich in dem Moment gebraucht habe. Nach 1-2 Stunden recht harten Gebretters
gab's dann einen entspannteren Teil mit chilligen Tracks, zum Teil ohne Rhythmus,
einfach nur flächensounds. Ein superschöner Track in japanischer
Sprache war dabei, leider keine Ahnung wie der heißt.
Aber nicht nur der Sound an sich, auch Takkyu's Auflegtechnik brachte mich
das ein oder andere mal zum schmunzeln. Als bei einem Tracks mal ein Kratzer
in der Platte war, hätte jeder andere DJ wahrscheinlich sofort panikartig
ausgefaded. Takkyu aber ließ die Platte erst mal eiskalt noch 2 Minuten
am Kratzer loopen und suchte währenddessen in aller Seelenruhe die nächste
Scheibe aus seinem Plattenkoffer ;o))
Irgendwann war's dann kurz vor 7 Uhr, und als ich fragte, wie lange Takkyu
denn heute spielen würde, bekam ich 7 oder 8 Uhr zu hören. Das konnte
ich schon kaum glauben, da die meisten Clubs in Tokyo zwischen 5 und 6 Uhr
dicht machen. Einzig und alleine das Liquidroom selber hatte ich bis mal jetzt
bis 7 Uhr genießen können, aber das war auch das Maximum. Ich rechnete
damit, dass um 7 Uhr wahrscheinlich Schluss wäre. Nun, und wieder einmal
an diesem Abend wurde ich eines besseren belehrt: Es wurde 7, es wurde 8,
es wurde 9 ...... na wie lange spielt er denn noch ?? Das fragten sich an
diesem Morgen auch noch einige andere.
Um kurz nach 11.30 Uhr gingen endlich im Liquidroom die Lichter an. Obwohl
mir schon die Füße weh taten war ich doch froh, bis zum Schluss
dageblieben zu sein, immerhin musste ich ja die Flaggen Frankfurts in die
Höhe halten, oder :o) ? Doch, schon wieder wurde ich eines besseren belehrt.
Durch den anhaltenden Beifall der letzten noch anwesenden Partypeople fühlte
Takkyu sich wohl provoziert nach dem Motto "Ach, ihr habt IMMER noch
nicht genug ??". Also Lichter gingen die Lichter wieder aus, und
weiter gings....
Um es kurz zu machen:
Um 12.40 Uhr wurde es nach einer langen Nacht endgültig still im Liquidroom.
Und ich meine wirklich still, weil alle noch Anwesenden standen nach dem letzten
Track auf der Tanzfläche und starrten schweigend auf Takkyu, als könnten
sie es nicht glauben, dass nun wirklich Schluss wäre... Es gab noch einmal
einen zögerlichen Beifall, bloß nicht zu viel, sonst gibt's noch
ne Zugabe bis 3 Uhr nachmittags *g*. Takkyu war an diesem Tag alles zuzutrauen
und wir waren alle schlag-K.O. :o)
Während seiner "Zugabe" hatte Takkyu fast nur noch richtig
krass gebrettert, legendlich die letzten 3-4 Tracks waren zum ausklingen etwas
ruhiger gewesen. Der letzte Track war auch irgendwas sehr extravagantes mit
irgendeinem schwachsinnigen deutschem Text, den ja Gott sei Dank außer
mir keiner verstand:
"Und wenn ich nicht hier bin, bin ich am Radar oder auff'm Sonnendeck,
bin ich, bin ich, bin ich, ... und alles was ist dauert 3 Sekunden, eine für
Vorher eine für Nachher eine für Mittendrin..."
... oder so was in der Art .. na ja ich musste ein wenig in mich reinschmunzeln.
Unter den Gästen dieses Abends war auch DJ Tasaka (siehe Bericht Luners
& Maniac Love) der den ganzen Abend als Gast auf der Tanzfläche mit
den Leuten mitgefeiert hat. Tasaka gehört mit zu den absoluten upcoming
DJ-Größen der japanischen Szene, und durch sein Booking dieses
Jahr auf der Mayday ist er auch in Deutschland erstmals in Erscheinung getreten.
Ich finde es cool, wenn so jemand trotzdem noch einfach als Clubber unterwegs
ist und 12 Stunden ohne irgendwelches VIP-Gehabe einfach unter seinen Leuten
abfeiert. So was findet man bei den großen DJs ja so gut wie gar nicht
mehr, die meisten stehen ja nur noch hinterm DJ Pult und kaum noch auf der
Tanzfläche.
Die deutschen DJs werden in Japan hoch verehrt, aber an diesem Tag war zu
sehen, wer unbestrittener DJ-König in Japan ist. Takkyu Ishino wird regelrecht
vergöttert. Und warum auch nicht, immerhin ist er einer der wenigen weltbekannten
japanischen DJs. Wer Takkyu mal für 2-3 Stunden in Deutschland gehört
hat der sollte wissen, dass die kurzen Sets von ihm wirklich etwas komplett
anderes sind. Die waren schon ok, aber hatten mich bisher auch nicht sonderlich
vom Hocker gerissen. Vielleicht gibt man Takkyu ja mal einen kompletten Abend
in einem deutschen Club. Wer Abwechslung mag und auch für andere Bereiche
des großen Spektrums offen ist, das unsere Musik zu bieten hat, der
sollte sich dieses Ereignis nicht entgehen lassen. Sein 13-stündiges
Marathon-Set an diesem Abend war mit Abstand das abwechslungsreichste, innovativste
und extravaganteste was ich seit sehr, sehr langer Zeit gehört habe.
Ich habe mich sogar im Club schon mal hingesetzt, um einfach einige Tracks
dieses Abends aufzuschreiben, damit ich sie in diesem Bericht nicht vergesse.
Anscheinend war eine so langes Set aber wirklich nicht geplant gewesen, zumindest
schien Takkyu quantitätsmässig nicht darauf vorbereitet gewesen
zu sein. So fing er dann ab ca. 8 Uhr an, sein Set mehr oder weniger zu wiederholen,
so dass man die musikalischen Sahnehäubchen der vergangen Nacht fast
alle noch mal zu hören bekam. Legendlich die letzen 90 Minuten gab's
dann wieder ein paar neue Tracks, da hatte wohl jemand Nachschub gebracht
.... vielleicht war das auch der Grund für die ausgedehnte Zugabe ;o)
Totemo
tanoshikatta ! Domo arigatou gozaimashita !
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